Der folgende Text beschreibt ein kurzzeittherapeutisches Behandlungsprogramm. Hierbei werden Einzel- und Gruppentherapiesitzungen kombiniert. Das Programm ist für Patienten konzipiert, die unter einer emotionalen Störung leiden, bei der depressive Symptome im Vordergrund stehen.
Arbeitsweise einer therapeutischen Gruppe | Home | Kurzzeittherapie
Die gruppentherapeutische Arbeit findet in einer sog. symptom-homogenen Gruppe statt. Das bedeutet, dass die Teilnehmer/Innen ähnliche Beschwerden erleben. Dadurch soll u.a. erreicht werden, dass die wichtigen Problemfelder in kürzerer Zeit konzentrierter und intensiver bearbeitet werden können.
Die Gruppensitzungen ermöglichen eine zeitliche und inhaltliche Intensivierung des therapeutischen Prozesses. Die Teilnehmer/Innen können ihre individuellen Probleme bearbeiten, indem sie über sich sprechen, aber auch indem sie andere Menschen erleben, die sich mit ähnlichen Problemen auseinandersetzen.
Die Therapiegruppe umfasst max. sechs Teilnehmer/Innen. Bei der Zusammensetzung der Therapiegruppe wird eine annähernde Gleichverteilung von weiblichen und männlichen Teilnehmer/Innen angestrebt. Die Behandlungsdauer beträgt ca. ein 3/4 Jahr. Gruppensitzungen finden wöchentlich zu festen Terminen statt. Die Gruppentherapie beginnt für alle Teilnehmer/Innen an einem vorher festgelegten Termin, sobald sich eine ausreichende Teilnehmerzahl verbindlich für diese Arbeit entschieden hat. Eine Gruppensitzung dauert 100 Minuten. Im Verlauf der Gruppe kommen keine neuen Teilnehmer/Innen hinzu, selbst dann, wenn Teilnehmer/Innen vorzeitig aus der Gruppe austreten sollten. Die Einzelsitzungen können zeitlich variabel vereinbart werden.
Für eine erfolgversprechende therapeutische Arbeit ist eine möglichst gute Passung zwischen dem Behandlungsangebot und den Problemen der Patienten/Innen wichtig. Das Behandlungsprogramm ist für Patienten/Innen konzipiert, die vorwiegend unter depressiven Beschwerden leiden. Tatsächlich ist Depression die Überschrift über ein relativ vielfältiges Beschwerdebild. Häufig sind Depressionen mit anderen seelischen Erkrankungen verschwistert. Man spricht hier von Komorbidität. Depressionen können außerdem unterschiedlich schwer verlaufen.
In diesem Sinne ist das Behandlungsprogramm bei folgenden Diagnosen des ICD wahrscheinlich indiziert (ICD = International Classification of Deseases = Internationale Klassifikation aller Erkrankungen, verbindlich für sämtliche Diagnosen, die im Gesundheitssystem behandlungsrelevant sind): Dysthymia, leichte oder mittelschwere depressive Episode, rezidivierende depressive Störung in leichter oder mittelschwerer Ausprägung, Anpassungsstörung mit vorwiegend depressiver Reaktion. Die meisten Patienten/Innen, die unter einem sog. "Burnout" leiden, lassen sich einer der vorgenannten Diagnosen zuordnen.
Eine absolute Kontraindikation ergibt sich, wenn folgende zusätzliche Störungen in einem Umfang vorliegen, so dass diese Störung durch eine zusätzliche Diagnose erfasst werden muss: Angststörungen - z.B.: Panikstörung, soziale Phobie, weiterhin Zwangsstörungen, Persönlichkeitsstörungen, Posttraumatische Belastungsstörung, stoffgebundene Suchtstörung, psychotische Störungen.
In jedem Fall muss die Indikation in einem Vorgespräch (?probatorische Gespräche) mit dem behandelnden Therapeuten erörtert werden. Hierbei hat der Pt. auch die Gelegenheit, weitergehende Fragen bezüglich des hier skizzierten Behandlungsprogramms abzuklären. Die Vorgespräche finden selbstverständlich als Einzelgespräche statt. Bei einer grundsätzlichen Bereitschaft und einer positiven Indikation sind in der Regel zwei weitere probatorische Gespräche erforderlich. Dabei werden erste Schritte unternommen, um den Problemfokus (siehe unten) in seinen Umrissen zu klären.
Das Krankheitsmodell im Rahmen der Kurzzeittherapie
Für eine wirksame Behandlung sind Annahmen nötig, wie die emotionale Störung entsteht, wodurch sie ausgelöst und aufrechterhalten wird. Depression wird hier - im Blick auf das verfügbare klinisch-psychologische Wissen - als ein seelisches Geschehen aufgefasst, das aus dem Zusammenwirken der folgenden Faktoren entsteht:
Diese Faktoren bilden in dem therapeutischen Programm das Raster für die Formulierung eines individuellen Problemfokus im Prozess der therapeutischen Arbeit. Der Problemfokus bildet die weitere Grundlage für Veränderungsschritte (s.u.), die durch die Gruppentherapie und begleitende Einzelgespräche eingeleitet und gefördert werden.
Im Folgenden wird der Problemfokus exemplarisch beschrieben. Die folgenden Problemschilderungen zeigen exemplarisch mögliche Konstellationen auf. Im konkreten Fall muss der Problemfokus jeweils individuell ausformuliert werden. Es können daher durchaus andere Konstellationen sichtbar werden, als denjenigen, die hier beispielhaft dargestellt werden:
Interpersonal: Ich erlebe mich immer wieder so, dass ich Anderen helfe und sie unterstütze. Wenn ich etwas habe, dann erlebe ich es oftmals so, dass meine Wünsche unter den Tisch fallen. Ich merke, dass es mir dann schwer fällt, meine Wünsche/ Enttäuschung/ Ärger mitzuteilen. Fremdbild Gruppe: (sozialer Spiegel) du bist immer für andere da, aber man kann sich gar nicht vorstellen, dass du ärgerlich wirst oder etwas brauchst.
Innerseelisch: Ich schlucke dann meine Wünsche und meinen Ärger herunter. Ich möchte niemand auf den Fuß treten oder verprellen. Ich merke, wie mich meine Enttäuschung überwältigt. Je mehr ich enttäuscht bin, desto mehr ziehe ich mich zurück. Manchmal scheint es mir dann, dass alles keinen Sinn hat.
Lebensgeschichte: Ich hatte ein jüngeres krankes Geschwister. Meine Mutter war sehr besorgt. Mir kam es oft so vor, als sei ich eher mitgelaufen. Ich wollte meine Mutter nicht noch zusätzlich belasten, sie war ohnehin schon sehr belastet. Ich glaube ich hatte schon immer die Rolle eher für andere da zu sein.
Belastungsfaktoren: Ich versorge z.Zt. meine demente Mutter, das bleibt wieder an mir hängen. Ich kann aber auch nicht nein sagen.
Ressourcen: Meine Tante hatte immer ein offenes Ohr für mich. Ich konnte auftanken, wenn ich mit ihr spazieren ging. Sie ist im letzten Jahr verstorben. Ich habe eigentlich gar nicht getrauert.
Interpersonal: Ich bin was ich leiste: Ich versuche mein Bestes zu geben. Dennoch habe ich oft den Eindruck, dass ich nicht die Anerkennung erhalte, die ich mir wünsche. Im Gegenteil die anderen erscheinen mir oft unaufmerksam. Oder es scheint mir als wäre es nie gut genug. Wenn ich sagen würde, ich schaffe das nicht mehr, dann wären die Leute sicher enttäuscht. Meine Schwächen soll niemand mitbekommen. Fremdbild Gruppe: Du vermittelst, dass du alles perfekt machen willst, wenn dich jemand lobt, scheinst du das gar nicht zu hören. Deine Perfektion löst nicht nur Anerkennung aus, sondern auch Neid und Rivalität. Wer bist du, wenn es nicht um Leistung geht?
Innerseelisch: Wenn ich etwas nicht schaffe, werde ich total unzufrieden mit mir, mein innerer Kritiker hackt dann auf mir herum, das ist ein Trommelfeuer aus Selbstkritik. Ich fühle mich manchmal sehr wertlos.
Lebensgeschichte: Meine Eltern wollten unbedingt, dass ich Abitur mache und voran komme. Sie selbst haben hart gearbeitet. An körperliche Nähe und Zuneigung kann ich mich wenig erinnern, es ging immer um Arbeit und Leistung.
Belastungsfaktoren: Meinen neuen Vorgesetzten interessiert es nicht im Mindesten, dass ich in Reha war. Er fragt auch nicht wie es mir geht, sondern stöhnt herum, wenn die Sachen nicht schnell genug fertig werden. Oft denke ich zu Hause an die Probleme auf der Arbeit und fürchte, dass ich das einfach nicht mehr schaffe.
Ressourcen: ich erinnere mich gerne an die Wanderungen als Kind mit meinem Vater. Er war sehr sportlich, und ich habe das fortgeführt. Früher habe ich nach der Arbeit einen Waldlauf gemacht, dann war der Kopf wieder frei. Jetzt, durch die Hüftprobleme kann ich das nicht mehr. Ich fühle mich jetzt auch körperlich nicht mehr so leistungsfähig.
Der individuelle Problemfokus wird wesentlich auf dem Hintergrund der Gruppengespräche erarbeitet. Diese Klärungsarbeit wird durch Einzelgespräche und gezielt eingesetzte diagnostische Angebote unterstützt. Bei den diagnostischen Instrumenten handelt es sich u.a. um Fragebögen, die zu Beginn der Gruppentherapie von jedem Teilnehmer bearbeitet werden. Die Befunde, die daraus abgeleitet werden, werden den Gruppenteilnehmer/Innen in geeigneter Form zurückgemeldet.
Therapeutische Veränderungen werden hier im Rahmen eines entwicklungspsychologischen Modells gesehen. Dessen Grundannahmen sind: Seelische Veränderungen können nicht als ein mechanisch-technischer Vorgang auf Anweisung hergestellt werden. Seelische Veränderungen erfordern, dass eine spontane Bereitschaft für Erfahrungen, aus denen Neues gelernt werden kann, freigesetzt wird. Erfahrungen wirken jedoch nur verändernd, wenn sie mit einer gewissen emotionalen Tiefe des Erlebens verbunden sind. Dies erfordert ein therapeutisches Milieu, das einen sicheren Rahmen bietet, in dem sich die Gruppenteilnehmer einem freien spontanen Gespräch öffnen können (Arbeitsweise einer therapeutischen Gruppe). Die emotionale Erfahrung muss weiterhin in ein Verständnis eingebettet sein, das den Erfahrungen der Teilnehmer/Innen Bedeutung und Richtung verleiht. Die Erfahrungen bekommen Richtung und Ordnung (1) durch den o.g. Problemfokus und (2) durch das störungsspezifische Wissen, das der Gruppenleiter einbringt.
Im Folgenden werden zur Veranschaulichung einige Bereiche des Verhaltens und Erlebens beispielhaft skizziert, in denen Veränderungen angestrebt werden können. Dabei wird die oben verwendete Gliederung der Problembereiche zugrunde gelegt. Selbstverständlich können auch hier andere Veränderungen notwendig sein, als denjenigen, die hier exemplarisch dargestellt werden:
Interpersonal: Es ist wichtig, dass ich lerne, meine Wünsche auszusprechen und im direkten Gespräch zu verhandeln, anstatt diese herunterzuschlucken. Ich sollte es wagen, offener zu sagen was ich will, anstatt mich zurückzuziehen. Es ist wichtig, dass ich lerne, Anderen eine Grenze zu setzen. Ich sollte meine Überzeugung im Gespräch prüfen, wonach andere sich gekränkt von mir zurückziehen, wenn ich direkt sage was ich will.
Intrapsychisch: Es ist wichtig, meine eigenen Wünsche und Gefühle achtsam wahr- und wichtig zu nehmen. Mit meinen Selbstvorwürfen schlage ich mich oft selbst k.o. Ich sollte stattdessen versuchen, mehr für mich zu sorgen, mir die Frage stellen, was würde mir gut tun. Meine Vorstellung, dass ich bin was ich leiste, hindert mich andere Quellen der Befriedigung zu erschließen.
Lerngeschichte: Ich merke, dass ich anderen immer wieder etwas abnehmen will, so wie ich damals meine Mutter unterstützt und geschont habe, aber ich realisiere auch, dass die Menschen in meinem Umfeld viel belastbarer sind, als ich es oft vermute. Ich begreife wie sehr meine Eltern als Flüchtlinge davon geängstigt waren, sozial abzusteigen und dass sie aufgrund dieser Angst besonders auf Leistung geschaut haben. Die Versagensangst in mir, ist z.T. die Angst meiner Eltern.
Belastungsfaktoren: Ich sehe allmählich klarer, dass sich meine Stimmung eintrübt, wenn ich das Gefühl habe, dass mir z.B. mein Partner einfach über den Mund fährt. Ich weiß, dass meine Stimmung weiter abbricht, wenn ich dann herunterschlucke. Ich merke, wie ich die Unzufriedenheit meines Chefs in mich aufsauge, er trifft mich genau da, wo ich am meisten verletzlich bin.
Ressourcen: Ich merke wie sehr mir meine Tante fehlt, mit der ich gut reden konnte, die mich verstanden hat. Ich konnte das nicht erkennen, weil ich die Trauer weggeschoben habe. Es ist für mich sehr wichtig, dass ich Menschen finde, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie sich für mich interessieren und mir zuhören. Es ist wichtig für mich, dass ich anderen zeige wie wichtig mir ihr Verständnis ist.
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